„Wer verbeamtet ist, darf und muss nicht streiken“ – diese Auffassung vertreten konservative Juristinnen und Juristen in Deutschland bis heute. Diese Rechtsauslegung stützt sich auf Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“
Darin wird der Streik allerdings nicht verboten. Stattdessen werden „Grundsätze des Berufsbeamtentums“ angeführt, die zu regeln sind. Diese Grundsätze sind teils bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionen, die nie von einem Parlament beschlossen, sondern nur von Richtern und Rechtsgelehrten weiterentwickelt wurden. Sie ranken sich häufig um altmodisch anmutende Begriffe wie „besondere Treuepflicht“ oder „amtsangemessene Alimentation“. Dahinter verbirgt sich die Fiktion, Beamtinnen und Beamte würden nicht für eine bestimmte Leistung, die sie zu erbringen haben, bezahlt, sondern zu Monatsanfang der Würde ihres Amtes entsprechend ausreichend alimentiert, um sich unabhängig und frei von Existenzsorgen ganz der Amtsführung hingeben zu können.
Nach Auffassung von GEW, DGB und ver.di verbieten diese Grundsätze den Streik nicht. Im Gegenteil: Das Beamtenrecht kann und muss reformiert und die Treuepflicht neu interpretiert werden. Dadurch wird der Status der Beamtinnen und Beamten aber nicht aufgegeben: An den Anforderungen wie Loyalität, dem vollen beruflichen Einsatz oder der unabhängigen und gesetzestreuen Wahrnehmung der Amtspflichten ändert sich nichts und damit auch nicht am Status der Beamtinnen und Beamten.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. Juni 2018 jedoch eine andere Haltung vertreten und das Streikverbot von Beamtinnen und Beamten für verfassungsgemäß erklärt. Der EGMR ist dieser Haltung in seinem Urteil vom 14. Dezember 2023 gefolgt und hat das Streikverbot bestätigt.