Tatsächlich kämpft die GEW bereits seit den 1970er Jahren für das Beamtenstreikrecht. Auf dem Weg dorthin hat es immer wieder unterschiedliche Urteile gegeben. Besonders entscheidend sind aber zwei Urteile von 2009 und 2014:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte 2009, dass das Streikrecht und das Recht auf kollektive Vereinbarung der Arbeitsbedingungen Menschenrechte sind, die den Beschäftigten nicht einfach mit Verweis auf einen „Beamtenstatus“ abgesprochen werden dürfen. Einschränkungen des Streikrechts sind im internationalen Recht nur zulässig auf gesetzlicher Grundlage und ausschließlich dort, wo die Beschäftigten im engen Sinne hoheitlich tätig sind (Polizei, Justizvollzug und Streitkräfte) – dort wiederum unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses.
2014 sah das Bundesverwaltungsgericht einen offensichtlichen Widerspruch zwischen dem für Deutschland bindenden internationalen Recht (Europäische Menschenrechtskonvention) und dem nationalen Verfassungsrecht. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass dieser Widerspruch nur durch den Gesetzgeber aufgelöst werden kann. Bis dahin allerdings gelte das Beamtenstreikverbot fort. Als sich die Bundesregierung Anfang 2015 erneut wegen des Beamtenstreikverbots vor der ILO rechtfertigen musste, zog sie sich darauf zurück, sie wolle dem Bundesverfassungsgericht nicht vorgreifen.
2018 kam es dann im Januar zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, im Sommer 2018 wurde das Urteil veröffentlicht. Die obersten Richterinnen und Richter bestätigten voll und ganz die konservative Linie der deutschen Rechtswissenschaft: Das Streikverbot sei Teil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die nach Art.33 Abs.5 Grundgesetz zu beachten seien, und das Berufsbeamtentum als solches ein essentieller Teil der deutschen Staatsarchitektur. Die in Art.9 Grundgesetz „für jedermann“ garantierte Koalitionsfreiheit muss dahinter zurückstehen.
Schon als die GEW sich 2009 entschied, gegen Disziplinarverfahren vorzugehen, hatte sie entschieden, nötigenfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Daher legten Ende 2018 mehrere GEW-Mitglieder Beschwerde gegen das Urteil des BVerfG ein. Diese Verfahren wurden 2022 an die Große Kammer des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überwiesen. Am 1. März 2023 findet dort eine mündliche Verhandlung statt.
Einen kompletten Überblick über die Geschichte der Urteile zum Beamtenstreikrecht gibt es hier.